Geht es nach dem Willen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wird die elektronische Erfassung von Arbeitszeiten auf der Baustelle bereits in wenigen Monaten, zum 1. Oktober 2022, Pflicht. Hierbei handelt es sich aber um keine verlautbarte Absichtserklärung des Ministers wie im Politgeschäft oft üblich. Die Verpflichtung der Betriebe zur digitalen Zeiterfassung hat bereits Eingang in einen Gesetzesentwurf des Bundesarbeitsministeriums gefunden. Dieser Vorstoß überraschte und traf die Bauwirtschaft völlig unerwartet. Was war passiert?
Die Regierungsparteien hatten sich bereits im Koalitionsvertrag auf eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde sowie die Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs auf 520 Euro geeinigt. Diese Änderungen sollen zum 1. Oktober 2022 in Kraft treten. Vor kurzem legte Heil daher einen Gesetzesentwurf zu „Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ vor. So weit, so gut. Doch wer dachte, dass sich in diesem Referentenentwurf nur die erwarteten Änderungen für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse fänden, wie der Titel des Gesetzesentwurfs suggeriert, sah sich getäuscht.
Der 31 Seiten lange Entwurf regelt noch mehr. Auf den Seiten zehn und elf finden sich völlig unerwartet Änderungen zum Mindestlohn- und Arbeitnehmerentsendegesetz. So sollen nach den dort gemachten Ausführungen, Arbeitgeber in den Branchen, in denen bereits derzeit eine Pflicht zur Dokumentation der täglichen Arbeitszeiten besteht, also auch das Bau- und Ausbaugewerbe, verpflichtet werden „den Beginn der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeweils unmittelbar bei Arbeitsaufnahme sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt elektronisch aufzubewahren.“ In dem Entwurf ist vorgesehen, diese Pflicht zur elektronischen Arbeitszeitaufzeichnung zeitgleich mit der Mindestlohnerhöhung zum Oktober 2022 in Kraft treten zu lassen.
Die Bauwirtschaft ist in Alarmstimmung. So erklärte der Vorsitzende der Bundesvereinigung Bauwirtschaft, Marcus Neubauer: „Wir lehnen die im Referentenentwurf zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung enthaltene neue Pflicht zur unverzüglichen elektronischen Dokumentation der Arbeitszeit für die Beschäftigten auf deutschen Baustellen ab.“ Die Regierung hätte versprochen, die Betriebe vor Bürokratie zu entlasten. Durch diese Regelung stiegen jedoch die Bürokratiekosten für die Betriebe deutlich an, macht Neubauer deutlich und verweist auf die bereits vorhandenen Regelungen zur Arbeitszeitdokumentation, die bereits vollkommen ausreichend seien.
Für das Bau- und Ausbaugewerk ist die Dokumentation von Arbeitszeiten nicht neu. Derzeit gibt es aber keine Vorgaben wie die Aufzeichnung zu erfolgen hat. Die Dokumentation kann also noch althergebracht auf einem klassischen Stundenzettel oder aber mit einem modernen, elektronischen Zeiterfassungssystem erfolgen. Auch muss die Erfassung bis dato nicht sofort erfolgen. Vielmehr ist es ausreichend, wenn die Dokumentation der Zeiten spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertags erfolgt. Diese Form der Dokumentation erscheint dem Arbeitsminister nicht mehr zeitgemäß.
Die Digitalisierung und die digitale Technik schreiten unaufhörlich voran. Diesem technischen Fortschritt wird sich kein Wirtschaftsbetrieb auf Dauer entziehen können, wenn er am Markt erfolgreich agieren will. Daher sind digitale Zeiterfassungslösungen in vielen Bau- und Ausbaubetrieben bereits Realität. Hier werden täglich Echtzeitdaten von der Baustelle ins Büro übertragen.
„Allerdings darf die Anzahl der Betriebe, die die Dokumentation der Arbeitszeiten noch nicht digitalisiert haben, nicht unterschätzt werden“, gibt Thomas Scheld, Geschäftsführer der C.A.T.S.-Soft GmbH und langjähriger Berater von Handwerksbetrieben zu bedenken und plädiert dafür, den Betrieben eine angemessene Übergangsfrist für die Umstellung auf eine elektronische Erfassung einzuräumen. Alles andere betrachtet Scheld als „sportliche Herausforderung“. Er sagt: „Eine solche Hau-Ruck-Aktion ist zum Scheitern verurteilt. Betriebe brauchen Zeit, um eine betriebliche Digitalisierungsstrategie zu entwickeln und diese sukzessive umzusetzen. Die Zeiterfassung ist nur ein Teil davon. Daher kann und darf die Umsetzung nicht übers Knie gebrochen werden. Digitalisierung soll Betriebe stärken, sie zukunftsfähig machen und ihnen einen Mehrwert bieten. Doch dafür reicht es nicht, sich irgendeine App runterzuladen oder irgendetwas zu kaufen, wo Zeiterfassung draufsteht. Offensichtlich geht das Bundesarbeitsministerium aber genau davon aus.“
Scheld macht deutlich, dass Digitalisierung nichts mit dem Einsatz sogenannter „Insellösungen“ zu tun hat: „Medienbruchfreies Arbeiten – das ist nicht nur das Schlagwort der heutigen Zeit. Es steht für einen enormen Mehrwert. Das medienbruchfreie Zusammenspiel zwischen digitaler Zeiterfassung und betrieblich genutzter ERP-Software sowie der Lohnsoftware des Steuerberaters ist nur ein Beispiel von vielen. Zur Umsetzung benötigen die Betriebe aber Zeit und keinen Schnellschuss.“
Apropos medienbruchfrei. Laut dem Entwurf des Arbeitsministers sollen die erfassten Daten in elektronischer Form für zwei Jahre vorgehalten werden. Da macht es Sinn und ist sicher auch vom Arbeitsminister beabsichtigt, dass die Daten an die Systeme der Kontrollbehörden übergeben werden können. Dafür müssten dann aber die Softwarehäuser entsprechende Schnittstellen für ihre Zeiterfassungslösungen programmieren. „Für die Datenübergabe an staatliche Kontrollsysteme gibt es aber noch keine Schnittstellendefinition. Diese müsste kurzfristig von den Behörden geliefert werden, wenn die Softwarehäuser dies bis Oktober umsetzen sollen,“ stellt Scheld mit Blick auf die Kürze der verbleibenden Zeit fest.
Ob eine allgemeine Verpflichtung der Betriebe zur digitalen Zeiterfassung sinnvoll ist, lässt Scheld offen. “Alle Betriebe in der Bauwirtschaft werden sich in den kommenden Jahren digital aufstellen müssen, um weiter am Markt bestehen zu können. Daher werden die Betriebe ohnehin sukzessive umstellen,“ ist Scheld überzeugt und sagt abschließend: „Da es bereits eine Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeiten gibt, sehe ich derzeit keine Notwendigkeit für den seitens des Bundesarbeitsministeriums ausgeübten zeitlichen Druck auf alle Beteiligten.“
Bis jetzt liegt nur ein Gesetzesvorschlag als Referentenentwurf auf dem Tisch. Aufgrund der zahlreichen offenen Fragen sowie der Kürze der Zeit, dürfte zumindest über das Wann und Wie noch nicht das letzte Wort gesprochen sein.
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