Das Problem heißt „HBCD“, das Flammschutzmittel, das früher in Polystyrol-Dämmplatten verarbeitet wurde, macht aus Styroporabfall seit 1. Oktober 2016 Sondermüll und das mit weitreichenden Folgen. Was als „gefährlicher Abfall“ eingestuft ist, darf nur über Verbrennungsanlagen mit entsprechender Zulassung thermisch verwertet werden. Offensichtlich fehlt es aber an ausreichenden Entsorgungskapazitäten im Land. Betreiber von Verbrennungsanlagen verweigern zunehmend die Annahme und der Bauhandwerker wird seinen Styroporabfall nicht mehr los.
Handwerker bleiben auf Styropor sitzen
Stuckateurmeister Volker Fischenich aus Höchstberg weiß, wovon er redet, wenn er von dem Dilemma berichtet, in dem er gerade steckt. Seinen letzten Container mit Styroporresten hat sein Entsorger noch im September abgeholt, aber ihm dabei bereits zu verstehen gegeben, dass er keinen weiteren Styroporabfall mehr annehme, da er selbst auf dem Styropor-Müll sitzenbleibe. Auch die Tatsache, dass sich Fischenich von allen Herstellern hat bescheinigen lassen, dass es sich bei den Styroporresten um neues HBCD-freies Styropor handelt, hilft ihm im Moment nicht weiter. Der Unterschied ist schlichtweg für den Entsorger nicht sichtbar und damit nicht nachprüfbar. Zurzeit hat Fischenich einen 20 Kubikmeter-Container auf seinem Hof stehen, den er stetig befüllt. Wie er ihn entsorgt bekommt, weiß er noch nicht. In dieser Zwickmühle stecken derzeit viele Bauhandwerker.
Entsorgungskosten werden steigen
ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke bringt die aktuelle Situation auf den Punkt: “Das Problem wird auf dem Rücken der Handwerksbetriebe abgeladen. Sie müssen eine Anlage finden, die bereit ist, das Material abzunehmen. Sie müssen es gegebenenfalls sicher auf ihrem Betriebsgelände oder beim Kunden zwischenlagern. Die Folge: Die Entsorgungskosten werden steigen. Falls eine Entsorgung nicht möglich erscheint, da die Länder keine geeigneten Anlagen zur Verfügung stellen, kann es passieren, dass Handwerksbetriebe Sanierungsaufträge nicht annehmen können oder vertraglich vereinbaren müssen, dass der Kunde für die Entsorgung verantwortlich zeichnet.“
Müllberge aus Styropor werden wachsen
Dass das alles kein triviales Problem ist, sondern sich die Situation zu einem echten Müllskandal ausweiten kann, zeigen die folgenden Zahlen: Nach Angaben der Bundesregierung fallen jährlich in Deutschland 230 Kilotonnen Dämmabfall an, davon sind 42 Kilotonnen Dämm-Materialabfall in Form von Polystyrol und 35 Kilotonnen gemischter Baustellenabfall. Diese Fakten nannte die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Februar 2015. Werden aber Abfälle in dieser Größenordnung keiner geordneten Entsorgung zugeführt, ist das Müll-Chaos perfekt.
Wirtschaftliche Schäden nicht absehbar
Die Folgen sind aber noch weitreichender. Welcher Bauhandwerker und welcher Bauherr ist bereit, das Entsorgungsrisiko inklusive derzeit unkalkulierbarer Entsorgungskosten zu tragen? Dies führt zwangsläufig zu einem Sanierungs- und Investitionsstau. Daher befürchtet auch der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes immense wirtschaftliche Schäden, wenn Bauvorhaben wegen fehlender Entsorgungsmöglichkeiten von Polystyrolabfällen ins Stocken geraten. Der Verband appelliert an Bund, Länder, Anlagenbetreiber und Entsorgungswirtschaft umgehend unbürokratische Lösungen zu schaffen.
Länder zur Lösung des Problems aufgerufen
HBCD-haltige Dämmstoffe wurden auf Betreiben der Länder über den Bundesrat als gefährlicher Abfall eingestuft. Der Bundesrat könnte seinen eigenen Beschluss zurücknehmen und damit zur alten Regelung zurückkehren. Das wäre die einfachste und vermutlich schnellste Lösung. Wie Malerblog.net aus dem Bundesumweltministerium erfahren hat, würde das Ministerium eine Bundesratsinitiative, die dazu führte, dass diese Art Abfälle nicht mehr als „gefährliche Abfälle“ eingestuft werden, ausdrücklich unterstützen. Müssten also nur noch die Länder mitmachen oder mit anderen Lösungsvorschlägen aufwarten.
Das aktuelle Entsorgungsproblem ist nicht trivial, sondern vielschichtig und zeigt vor allem eins sehr deutlich: Der politische Wille ist mit einem Beschluss schnell umgesetzt. Aus Styropor-Abfall wird Sondermüll. Die praktische Umsetzbarkeit steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier hätten frühzeitig die richtigen Weichen gestellt werden müssen. Noch ist es nicht zu spät. Aber die Zeit drängt.
Zu dem Thema sind bereits folgende Artikel erschienen:
Entsorger verweigern Abnahme von Styropor-Abfälle. IVH schlägt Alarm. Entsorgungsnotstand droht.
Dämmplatten aus Polystyrol bald Sondermüll. Was Maler und Stuckateure wissen sollten.