Die Bauwirtschaft ist gut durch die Coronapandemie gekommen. Trotz Lieferengpässen und Preissteigerungen stand die Bauwirtschaft bisher wie ein Fels in der Brandung. Diese Zeiten sind offensichtlich vorüber. Der Fels wankt. Eine zum Wochenstart vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) veröffentlichte Mitteilung, verheißt nichts Gutes. „Mittlerweile ist fast jedes Unternehmen direkt oder indirekt von den Folgen des Krieges in der Ukraine betroffen“, wird Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des HDB, zitiert. Innerhalb nur weniger Wochen hat sich die Lage in der Bauwirtschaft weiter verschärft. Eine zweite Branchenumfrage zu den Folgen des Ukraine-Krieges, die im Zeitraum vom 4. bis 7. April 2022 durchgeführt wurde und an der über 300 Unternehmen teilnahmen, lässt erahnen, wie turbulent die Zeiten sind, die wir aktuell durchleben.
Preissteigerungen bei Baumaterialien machen sich bei 90 Prozent und Materiallieferengpässe bei 80 Prozent der Umfrageteilnehmer mittlerweile bemerkbar. Neben den gestiegenen Energiekosten, die sich beim Dieselkraftstoff stark bemerkbar machen, betrifft dies vor allem die bereits aus dem Vorjahr bekannten und knappen Baustoffe wie Stahl, Bitumen, Asphalt, Holz sowie Zement/Beton betroffen. Materiallieferanten geben nur noch tagesaktuelle Preise. Über 80 Prozent gaben sogar an, dass Lieferanten überhaupt keine Preiszusagen mehr machen würden. Für die Betriebe bedeutet dies am Ende ein enormes wirtschaftliches Risiko und Schwierigkeiten bei der Kalkulation neuer Angebote. Dieses Risiko allein zu stemmen, ist für die Betriebe nahezu unmöglich. Doch nur einem Drittel der befragten Baubetriebe war es bis jetzt möglich, sich mit dem Auftraggeber auf eine Preisgleitung zu einigen. 47 Prozent der an der Umfrage teilnehmenden Baubetriebe gaben an, Preissteigerungen nicht weiter geben zu können und damit Angebote auf eigenes Risiko zu erstellen. 32 Prozent ziehen sogar die Reißleine und berichten, keine neuen Angebote mehr abzugeben. Die Frage ist wie lange die Baubetriebe, die das Preisrisiko übernehmen oder auf Umsätze verzichten, dies wirtschaftlich überleben können.
Zugleich zeichnet sich noch eine weitere Entwicklung ab, die die Bauwirtschaft nach den fetten Auftragsjahren so nicht gewohnt ist. Auftraggeber scheinen verunsichert. „Rund 40 Prozent der Auftraggeber stellen Projekte zurück. 30 Prozent der Auftraggeber stornieren sogar Projekte.“ So heißt es in der Mitteilung der Bauindustrie. Zum Preis-, Material- und Energierisiko ist jetzt also auch noch ein Nachfragerisiko hinzugekommen. Abschließend zeichnet Müller einen düsteren Weg für die Bauwirtschaft: „Die Situation ist absurd. Vor Wochen hat die Branche noch händeringend um Arbeitskräfte geworben, heute müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die halten, die wir haben. Wir stellen uns darauf ein, dass Unternehmen bald Kurzarbeit anmelden müssen.“