Es ist keine neue Idee. Vielmehr machen Wechselprämien schon seit ein paar Jahren von sich reden. Mit Wechselprämien wird versucht, Beschäftigte von Konkurrenzunternehmen in den eigenen Betrieb zu locken. Ein kurzer Blick auf die aktuelle Arbeitsmarktsituation zeigt, wo das Problem liegt.
Im Oktober 2021 waren laut Bundesagentur für Arbeit bundesweit knapp 809.000 freie Arbeitsstellen gemeldet. Im Vergleich zum Vorjahresmonat meldeten Arbeitgeber 206.000 mehr freie Stellen. Dies entspricht einer Steigerung von 34,3 Prozent.
Im gleichen Zeitraum, Oktober 2021, waren 2.377.000 Menschen arbeitssuchend. Dies entspricht laut Bundesagentur für Arbeit einer Arbeitslosenquote von 5,2 Prozent. In Bayern lag die Arbeitslosenquote sogar bei nur 2,9 Prozent. Je nach Region bzw. Landkreis liegt die Quote noch darunter. Da aber nicht jeder Arbeitssuchende für jeden Job qualifiziert ist, bedeuten solche Zahlen für Deutschland, dass der Zustand der Vollbeschäftigung erreicht ist.
Hier zeigt sich das Dilemma, in dem viele Unternehmen stecken. Es gibt keine freien Fachkräfte mehr auf dem Markt. Freie Stellen können mangels Bewerber nicht besetzt werden. Daher wird je nach Branche regelrecht um Bewerber gebuhlt. Dies zeigt sich eben in Stellenanzeigen. Hier wird die Auflistung der Benefits oder Goodies immer länger und die Auslobung von „Wechselprämien“, oft freundlicher als „Willkommensprämie“ oder „Starterprämie“ bezeichnet, findet sich immer häufiger. Die Prämienangebote reichen von wenigen hundert Euro bis zu hohen vierstelligen Beträgen. Dies zeigt ein Blick auf die Pflegebranche.
Hessenschau.de berichtete vor wenigen Tagen, dass die Uniklinik Gießen neuen Intensivpflegerinnen und -pflegern eine Einstellungsprämie von 5.000 Euro bietet. Der 5.000-Euro-Bonus solle gezahlt werden, bis der notwendige Personalbestand erreicht sei. Das Evangelische Krankhaus, ebenfalls mit Sitz in Gießen, zahlt dem Bericht zufolge wohl schon seit 2018 eine Einstellungsprämie von 1.000 Euro. Hier zeichnet sich ein Überbietungswettbewerb ab. Dass der Pflegenotstand nicht erst seit Corona existiert, zeigt auch ein Bericht auf bz-berlin.de aus dem Jahr 2019, wonach Berlins städtischer Klinikkonzern Vivantes, Pflegekräfte mit einer Einstiegsprämie von 9.000 Euro anzuwerben versuchte. Und die Süddeutsche Zeitung berichtete bereits im Januar 2018 von einem Klinikum in München, das seine Prämie erhöhte und bis zu 8.000 Euro bei einer Neueinstellung auszahlte, 4.000 Euro für die neue Pflegefachkraft und 4.000 Euro für den Mitarbeiter, der die neue Kraft anwirbt. Hier gehen Einstellungsprämien und Empfehlungsprämien Hand in Hand. Letztendlich zeigen jedoch diese Beispiele, dass der Pflege-Notstand, also der Mangel an qualifizierten Pflegefachkräften, scheinbar eine Endlos-Spirale bei Prämienangeboten in Gang gesetzt hat. Ein Ende ist nicht absehbar.
Doch die Pflegebranche steht nur exemplarisch für den in einer Vielzahl an Branchen vorherrschenden Fachkräftemangel. Im Handwerk finden sich ebenfalls zunehmend Prämienangebote für einen Stellenwechsel. Das nachfolgende Stellenangebot der Bäckerei Wiedemann, veröffentlicht auf der firmeneigenen Website, steht beispielhaft für die auch im Handwerk immer populärer werdende „Wechselprämie“.

Der freie Wettbewerb lässt viele Betriebe zu solchen „Überlebensmaßnahmen“ greifen. Letztendlich ist sich jedes Unternehmen selbst am nächsten und eine Prämie ist oft das letzte Mittel, um am Markt verbleiben zu können. Wer keine Mitarbeiter mehr findet, wird über kurz oder lang keine Brötchen mehr backen bzw. keine Aufträge mehr – trotz voller Auftragsbücher – ausführen können.
Doch eins steht auch fest: Eine Wechselprämie löst nicht das Problem des Fachkräftemangels. Denn werden Fachkräfte aus einem Betrieb abgezogen und in einem anderen Betrieb eingesetzt, fehlt letztendlich die gleiche Anzahl Fachkräfte am Markt wie zuvor. Solange also nicht mehr Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, helfen Wechselprämien nur dem Betrieb, der sie auslobt und dadurch vielleicht den einen oder anderen neuen Mitarbeiter findet. Ein monetärer Anreiz ist aber noch lange kein Garant für ein langfristiges Beschäftigungsverhältnis. Wer für Geld kommt, geht auch für Geld.
Thomas Scheld, Geschäftsführer der C.A.T.S.-Soft GmbH, kennt als Digitalisierungspartner von Handwerksunternehmen den Fachkräftemangel in der aufstrebenden IT-Branche wie auch in dem boomenden Bauhandwerk bestens. Er kann Firmen, die zu Wechselprämien greifen, verstehen. Doch sie sind seiner Meinung nach nur die bittere Folge einer völlig verfehlten Arbeitsmarktpolitik.

Scheld sagt: „Unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft unterliegt einem Strukturwandel. Schauen wir auf die Automobilindustrie. Sie steckt nicht erst seit Corona in einer Flaute. Durch die Umstellung auf die Elektromobilität werden die Autobauer und Zulieferer in Zukunft zudem wesentlich weniger Mitarbeiter in den klassischen Maschinenbaubereichen wie im Motorenbau benötigen. Das ist in anderen Branchen genauso. Hier macht es keinen Sinn, durch Kurzarbeiterregelungen oder Beschäftigungsgesellschaften Arbeitskräfte in sterbenden Branchen zu halten, anstatt sie flexibel dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Das Zukunftscredo muss lauten: Umschulung statt Kurzarbeit, und das insbesondere auch im Sinne der Arbeitnehmer. Denn wer durch eine Umschulungsmaßnahme eine sterbende Branche verlassen kann, um als Fachkraft in einer aufstrebenden Branche gewinnbringend eingesetzt zu werden, der tut nicht nur sich etwas Gutes, sondern auch der Volkswirtschaft. Die verkrusteten Strukturen der Arbeitsverwaltung in Deutschland müssen sich endlich den Veränderungen unserer Gesellschaft anpassen. Das dient nicht zuletzt dem Wohle des Einzelnen. In diesem Sinne müssen Umschulungsmaßnahmen über die Arbeitsagentur angemessen entlohnt werden, so dass ein Anreiz für in sterbenden Branchen nicht mehr benötigte Arbeitskräfte besteht, in zukunftsfähige Branchen zu wechseln und damit für sich selbst und für unsere Gesellschaft die Zukunft zu bauen.“