Dienstagmorgen, 8.30 Uhr. Hinter einigen Wolken blitzt die Sonne hervor. Das Wetter ist ideal. Thomas Kretschmer prüft ein letztes Mal seine Karabiner. Auch die Halterung unter seinem Allerwertesten ist richtig montiert. Alles sitzt. Er wagt einen Blick nach unten. 12 Meter steile Wand liegen unter ihm. Er hat sich genau überlegt, wie er vorgeht. Das Seil ist fest verankert. Er ist gesichert. Es kann also losgehen. Langsam bewegt er sich von der Kante nach unten. Er schwebt. Gesichert an einem Seil, hängt er in der Luft.
Kretschmer hängt nicht in der Nordwand des Matterhorns. Er hängt an einer Hausfassade mitten in Berlin. Was er macht ist kein neuer Extremsport. Kretschmer ist Teil eines intelligenten Arbeitseinsatzes.
Holm Draber, Geschäftsführer des Berliner Unternehmes Colour Clean, und Farbtechniker Freddy Rubiler beobachten das Treiben von unten. An der Fassade selbst befinden sich eine Vielzahl von Löchern. Löcher, die dort nicht hingehören.
Ein Specht hat hier ganze Arbeit geleistet. Über 20 Löcher hat er fein säuberlich in die Fassade gehämmert. „Das ist gar nicht mal ungewöhnlich. Wir hatten schon Fassaden mit 150 Löchern. Teilweise sind die Gänge und Kanäle dahinter bis zu 50 cm tief“, erklärt Freddy Rubiler und fügt hinzu: „Wenn man hier nichts macht, kommen demnächst Spatzen, Amseln oder Eichhörnchen, die es sich bequem machen und hier nisten, ganz abgesehen von den Schäden durch Wasser.“
Teamwork – gemeinsam stark
Kletterer Kretschmer hat das erste Loch erreicht. An einem Gurt, der mit einem Seilzug verbunden ist, hängt ein Eimer. Mit einer Art Flaschenzug werden die benötigten Materialien so nach oben befördert. Hier ist eben Teamwork gefragt.
Freddy Rubiler reicht seinem Partner von unten an, was dieser braucht. Und der stopft fleißig Löcher. „Erst einmal muss die Dämmung mit Styropor erneuert werden, wenn die Löcher besonders tief sind, müssen sie mit einer Pistole ausgeschäumt und dicht gemacht werden. Dann kommt der Putz drauf und anschließend die Farbe drüber“, erklärt Rubiler und fügt hinzu: „Der Putz wird immer in kleinen Mengen passend für das entsprechende Loch angerührt und wir arbeiten auch mit einem Brenner, damit der Putz schneller trocknet. Natürlich sorgen wir dafür, dass die Putzstruktur und der Farbton passen. Hinterher ist es perfekt.“
Mehrmals schnellt der weiße Eimer in die Höhe. Jedes Mal trägt er einen anderen Inhalt. Kretschmer arbeitet konzentriert, immerhin befindet er sich in waghalsiger Höhe. Die Sicherung am Kamin hält. Wenn er mit der ersten Fassadenseite fertig ist, muss er zurück aufs Dach, um sich an der nächsten abzuseilen. Wieder muss ein Sicherungspunkt her. Wieder ist höchste Konzentration gefragt. Eine außergewöhnliche Arbeit.
Die geniale Idee
Seit sieben Jahren bietet Draber mit Colour Clean das Ausbessern von Spechtlöchern an. Dabei ist sein Unternehmen ursprünglich auf die Beseitigung von Graffiti und Algen sowie Schimmelsanierung spezialisiert. Irgendwann kam dann der erste Kunde mit einem „Spechtproblem“. Draber überlegte, was man zur Beseitigung tun kann. Gerade im städtischen Bereich kommen oft aus Platzmangel weder Einrüstungen noch Hebebühnen in Frage. Wie also können Hochhäusern oder andere unzugängliche Fassaden saniert werden?
Da kam ihm die Idee mit dem Klettern. Seitdem bietet er die Beseitigung von Spechtschäden als Dienstleistung an: „Wir organisieren alles für den Kunden“, erklärt Draber und meint weiter: „Er bekommt ein pauschales Angebot, je nachdem wie viele Löcher die Fassade hat. Das ist in jedem Fall für den Kunden weitaus günstiger als eine Rüstung an die Fassade zu stellen oder mit Hebebühnen zu arbeiten. Vor Ort wird das Objekt dann gesichtet, um festzustellen, wo es Sicherungspunkte gibt und der Kletterer sich abseilen kann. Eigentlich schafft man das an jedem Haus, meist an Sekuranten oder Schornsteinen auf dem Dach.“
Über die Jahre hat er schon irrwitzige Dinge erlebt: „Einmal gab es keine Möglichkeit, so dass wir ein Seil über das Haus werfen und dieses an einem Baum auf der anderen Seite im Garten befestigen mussten. Aber es hat funktioniert“, lächelt der Sachverständige für Schimmel.
Und der Specht? Ein echtes Problem in Berlin, weiß Draber zu berichten: „Wärmegedämmte Fassaden mag der Specht ganz besonders gern, allerdings keine mineralischen. Das Styropor klingt für den Specht hohl wie ein morscher Baum, so denkt er, es handele sich um einen und legt los“, erklärt Draber und fügt hinzu: „Und weil in Berlin sehr, sehr viel mit Styropor gedämmt wurde, hat der Specht hier ein besonders großes Revier.“
Die Kunden, in der Regel Genossenschaften und Hausverwaltungen, sind vom Ergebnis meist sehr begeistert. „Es ist für alle eine Win-Win Situation“, sagt Draber. „Der Kunde spart Geld, wir haben einen Auftrag. Und wenn alle glücklich sind, ist es das Schönste.“
ColourClean wurde unterstützt von der TOP-Bau UG, einem Unternehmen, das sich auf seilgestützte Höhenarbeiten spezialisiert hat.
Mehr Informationen zum Thema „Spechtlöcher“ finden Sie auf Malerblog.net:
Spechte lieben Wärmedämmung. Glatter Putz bietet ihnen keinen Halt.