Von der SPD seit langem gefordert und im Koalitionsvertrag mit FDP und Grünen jetzt fest verankert, ist die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland auf 12 Euro pro Stunde. Konkret wird dazu im Koalitionsvertrag ausgeführt: „Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen. Im Anschluss daran wird die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden.“
Für das Jahr 2022 hatte die Mindestlohnkommission bereits zwei Anhebungen des Mindestlohns vorgesehen. Mit der am 1. Januar 2022 bereits erfolgten Anhebung auf 9,82 Euro sollte laut Beschluss der Mindestlohnkommission die nächste Anhebung bereits am 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro erfolgen. Laut Mindestlohngesetz hat die ständige Mindestlohnkommission über die Anpassung der Höhe des Mindestlohns zu befinden. Dieses seit Einführung des Mindestlohns praktizierte Vorgehen beabsichtigt die neue Bundesregierung nun durch eine einmalige Anhebung auf 12 Euro zu negieren.
Mindestlohnpolitik wirft Fragen auf
ZDH-Präsident Wollseifer kritisiert gegenüber der „dpa“ diesen angekündigten politisch festgelegten Mindestlohn. Er sagt dazu: „Die Politik hat der Mindestlohnkommission eine gesetzliche Aufgabe gegeben. Und diese Kommission wird jetzt von der Politik vorgeführt. Wenn der Mindestlohn Spielball der Politik wird, dann sollten sich die Mitglieder der Mindestlohnkommission wirklich Gedanken machen, ob es noch sinnhaft ist, in dieser Kommission weiterzuarbeiten. Die Politik bricht ja nicht nur ihre Versprechen, sondern sie hält sogar ihre eigene Gesetzgebung nicht mehr ein. Wenn die Ampel nun den Mindestlohn einmalig auf 12 Euro erhöht und dann wieder zu dem alten System zurückkehrt und die Lohnfindung wieder der Kommission überlässt: Was schützt uns denn dann davor, dass das in vier Jahren nicht wieder so passiert? Dass es zum Dauerzustand wird, dass die Politik die Mindestlöhne und damit letztlich auch die Löhne bestimmt? Dann brauchen wir aber auch keine Sozialpartner mehr. Das sollten doch eigentlich auch die Gewerkschaften bedenken, wenn sie ein Interesse daran haben, auch künftig ihre Rolle als starker Sozialpartner wahrzunehmen. Sollte der Mindestlohn von 12 Euro schon 2022 kommen, dann macht das rund 200 Tarifverträge obsolet, die zwischen den Sozialpartnern – also Arbeitgebern und Gewerkschaften – ausgehandelt waren.“
Als einzigen Weg aus dem Dilemma sieht Wollseifer die Möglichkeit, sich die 12 Euro als Zielsetzung vorzunehmen, aber nicht schon für das Jahr 2022. Vor dem Hintergrund, dass der Mindestlohn durch den Beschluss der Mindestlohnkommission bereits zum Juli 2022 ohnehin auf 10, 45 Euro und damit in Reichweite der 12 Euro erhöht wird, ist es für Wollseifer denkbar, dass die 12 Euro bis Ende 2023 ohnehin erreicht würden.
Zum Vergleich: Mindestlohn in Europa
Die avisierte Erhöhung auf 12 Euro brächte Deutschland im europäischen Vergleich eine Spitzenposition ein. Innerhalb der Europäischen Union würde Deutschland dann den zweithöchsten Mindestlohn zahlen. Allein Luxemburg läge mit 12,73 Euro noch eine Nasenspitze vor Deutschland. Irland liegt mit einem Mindestlohn von 10,50 Euro und Frankreich mit 10,48 Euro ebenfalls im zweistelligen Stundenlohnbereich. Eine Vielzahl an EU-Mitgliedstaaten wie Rumänien, Estland, Lettland, Litauen, Polen oder Slowenien liegen gar unter der 5-Euro-Marke. In Portugal lässt sich derzeit Premierminister Antonia Costa für seine kurz vor der Wahl beschlossene Mindestlohnerhöhung feiern. Laut Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) hat Costa den Mindestlohn um monatlich 40 Euro auf 705 Euro angehoben und dabei von der „größten Erhöhung aller Zeiten“ gesprochen. Auf die Stunde umgerechnet entspricht dies einem Stundenlohn von rund 4,40 Euro. Das Schlusslicht bildet Bulgarien mit etwas mehr als 2 Euro.
Doch längst nicht alle Länder in der Europäischen Union verfügen über einen gesetzlichen Mindestlohn. So beispielsweise Österreich. Hier sind ausschließlich die Sozialpartner für die Festlegung von Mindestlöhnen zuständig. Auch Italien verfügt über keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn.