Barcelona ist eine Reise wert. Die katalanische Hauptstadt zählt zu den meistbesuchten Städten Europas. Wer die quirlige Metropole am Meer aufsucht und nicht nur Strandurlaub machen, leckere Tapas essen oder auf der Rambla flanieren möchte, darf auch gerne etwas Kultur tanken. Barcelona ist für seine Kunstwerke und Architektur weltweit bekannt. Die Stadt ist reich an beeindruckenden Bauwerken. Sie prägen das Stadtbild und machen Barcelona einzigartig und unverwechselbar.
Wer durch Barcelona schlendert, wird zwangsläufig über die spektakulären Bauten eines berühmten Architekten „stolpern“, dessen Name mit Barcelona verbunden ist wie kein zweiter. Die Rede ist von Antoni Gaudí. Allein sieben Gaudí-Bauten gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die weltberühmte Basilika, La Sagrada Família, schaffte es sogar auf die Liste der UNESCO, obwohl sie bis heute noch nicht fertiggestellt ist.

Als Gaudí im Jahr 1926 unter tragischen Umständen, kurz vor Vollendung seines 74. Lebensjahres verstarb, war erst gut ein Viertel der Basilika gebaut. Doch sein Tod war Auftrag zugleich. Die Bauarbeiten sind noch heute in vollem Gang, wenngleich ein Ende, nach fast 150 Jahren Bauzeit, absehbar scheint. Geplant war, die Bauarbeiten im Jahr 2026, zum 100. Todestag Gaudís, abzuschließen. Ob dies der Fall sein wird, wird sich zeigen. Gaudí jedenfalls hat seine letzte Ruhestätte in der Krypta der Sagrada Familia gefunden und auf diese Weise – salopp gesagt – seine letzte Baustelle bis heute nicht verlassen.

Gaudís Arbeit auf die Sagrada Família zu reduzieren, greift viel zu kurz. Seine Baukunst ist weit mehr. So lohnt sich ein Blick auf die von ihm entworfenen und umgesetzten Wohngebäude, die ihrer Zeit in vielerlei Hinsicht weit voraus waren. Wer den Meisterarchitekten Gaudí und seine Wohnbauten in Barcelona entdecken möchte, wird am Passeig de Gràcia, einem Prachtboulevard mit unzähligen Luxusboutiquen, gleich doppelt fündig. Nur 500 Meter voneinander entfernt liegen die Casa Milà und die Casa Batlló. Beide Häuser gehören mit zu den schönsten Gaudí-Attraktionen in Barcelona und laden den Besucher ein, auf Entdeckungstour zu gehen und sich selbst von Gaudís Ideenreichtum, Genialität und Baumeisterfähigkeit zu überzeugen.
Die außergewöhnliche Architektur Gaudís steht im Kontext des Modernisme, des katalanischen Jugendstils, der Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die prägende architektonische Stilrichtung in Barcelona war. Neben der Gotik, dem das gotische Stadtviertel in Barcelona, Barrio Gótico, seinen Namen verdankt, hat kaum eine andere architektonische Stilrichtung diese Stadt so geprägt wie der Modernisme. Gaudí war in Barcelona natürlich nicht der einzige Vertreter dieses Architekturstils, aber durch seine außergewöhnlichen Bauten, die letzten Endes auch Gaudís eigenen Stil widerspiegeln, ist sein Name weit über die Grenzen Barcelonas hinaus bekannt geworden. Barcelona und Gaudí gehören zusammen wie der Wind und das Meer.
Dieser Vergleich hätte Gaudí sicherlich gefallen, denn Gaudí ließ sich von der Natur inspirieren und lernte von ihr. Gaudí tickte anders als seine Architekturkollegen. Er war ein fantastischer Visionär mit Detailverliebtheit, der es verstand, seine künstlerischen Ideen funktional auszugestalten und Realität werden zu lassen. Die von ihm entworfenen Wohngebäude orientieren sich an den organisch geschwungenen Formen der Natur. Sowohl im Außen- als auch Innenbereich sind Ecken nicht zu finden. Die kurvenreiche Fassade der Casa Milà zeigt dies sehr deutlich.

Kraftvoll und mächtig kommt die Steinfassade daher, die ihr nach Fertigstellung im Jahr 1910 den Spitznamen „La Pedrera“, zu Deutsch „Steinbruch“, einbrachte. Während die einen sich von diesem einzigartigen Bauwerk begeistert zeigten, verspotteten es die anderen. Gaudís Baustil war neu. Er ließ sich nicht wirklich einordnen. Gaudí hatte eben seine eigene „Sprache“ gefunden, die dem Betrachter zugleich einen großen Interpretationsspielraum an die Hand gab. Das ist auch heute noch so. Beim Anblick der Casa Milà stehen für die einen die Wellenbewegungen der Fassade für das Meer, andere sehen einen vom Wind geformten Sandstrand und wieder andere erinnert der Anblick an einen Berg mit Höhlenwohnungen. Kunst liegt wie immer im Auge des Betrachters. Jeder ist frei darin, zu sehen, was er sehen möchte.

Aus bautechnischer Sicht erwähnenswert ist, dass diese großartige Steinfassade keine tragende Funktion hat. Dieses massive Gebäude wird vielmehr von Stahlträgern gestützt, die das Gewicht des Gebäudes tragen. So sind Mauern und Wände entlastet, was nicht nur die wellenförmige Bauweise der Fassade ermöglicht, sondern sich auch positiv auf die Wohnräume auswirkt. Da den Wänden keine statische Aufgabe zukommt, sind die Innenräume in ihrer Größe frei gestaltbar. Jeder Bewohner kann sich seine Wohnung so einteilen wie er es benötigt. Für einen Wohnblock bzw. ein Mehrfamilienhaus war dies nicht nur in der damaligen Zeit eine herausragende Eigenschaft.

Gaudí stellte sich noch einer weiteren Herausforderung. Licht und Luft sollten ungehinderten Zugang zu den Wohnräumen erhalten und dafür sorgen, dass stickige und dunkle Wohnungen der Vergangenheit angehörten. Er löste diese Aufgabe mit Bravour. Bauweise und Ausgestaltung des Innenhofs kam dabei eine wichtige Funktion zu. Gaudí gestaltete die beiden Innenhöfe der Casa Milà nicht eckig, sondern rund und gab ihnen die Form eines Trichters, das heißt sie sind unten etwas schmaler als oben. Zugleich sorgt ein perfektes, natürliches Belüftungssystem dafür, dass die Wohnräume über hinreichend Frischluft verfügen. Mit dieser Bauweise lässt sich von der obersten bis zur unteren Etage Licht und Luft einfangen.
Die für den Wohnblock benötigten Lüftungsschächte und Schornsteine prägen die begehbare Dachterrasse. Doch es wäre nicht Gaudí, hätte er daraus nicht ebenfalls ein einzigartiges Kunsterlebnis geschaffen. Er verstand es wie kein anderer aus technischen Erfordernissen Kunstwerke zu kreieren.
Ob Glasscherben oder Bruchstücke keramischer Fliesen, Gaudí nutzte sie, um sie in höchster Perfektion künstlerisch in Szene zu setzen. Er dekorierte mit ihnen Oberflächen und entwickelte einen eigenen und äußerst dekorativen Mosaikstil. In der Casa Batlló, nur wenige Häuser von der Casa Milà entfernt, lassen sich einige von Gaudís abstrakten Mosaik-Kunstwerken, die auch Trencadís (katalanisch für „Bruch“) genannt werden, in großem Umfang bestaunen.

Die ebenfalls begehbare und sehr ausgedehnte Dachterrasse der Casa Batlló bietet ein wahres künstlerisches Wunderwerk an ausgefallenen Formen und Figuren und im Gegensatz zur Dachlandschaft der Casa Milà kommt sie auch sehr farbenfroh daher.

Ein echter Hingucker sind die schwungvoll geformten Keramikziegel, die das wellenförmige Dach, das an Form und Haut eines Reptils erinnert, verkleiden. Vier Kamingruppen, bestehend aus jeweils vier, sieben oder acht Kamintürmen, dekorierte Gaudí auf dem Dach der Casa Batlló mit Trencadís-Mosaiken.

Trencadís-Mosaike ziehen sich wie ein roter Faden durch die Gaudí-Bauten. Neudeutsch ließe sich auch von „Recycling-Kunst“ sprechen, denn Gaudí war vermutlich einer der ersten Recycling-Künstler. Zum einen verwendete er alte, kaputte bzw. schon entsorgte und damit kostengünstige Glas- und Keramikstücke für seine Mosaike und zum anderen verstand es Gaudí wie kein anderer, diesen Abfallstücken neues Leben einzuhauchen.

Diese Mosaikkunst auf höchstem Niveau zeigt sich auch an der Hauptfassade der Casa Batlló. Hier ließ Gaudí auf circa 180 qm Trencadís-Mosaik legen. Mit den außergewöhnlich gestalteten Balkonen und der beeindruckenden Fensterfront des ersten Stockwerks gehen sie eine einzigartige Symbiose ein. Wie ein Schmuckstück, prachtvoll und stolz sticht die Fassade aus der Häuserreihe am Boulevard Passeig de Gràcia hervor.

Über Gaudí und seine Werke gäbe es viel zu schreiben. Noch schöner ist es aber, seine Bauten vor Ort auf sich wirken zu lassen. Künstlerisch sind die Gaudí-Bauten eine Augenweide, technisch sind sie ihrer Zeit weit voraus. Energieeffizientes, nachhaltiges und wohngesundes Bauen war für Gaudí eine Selbstverständlichkeit. Er setzte sich mit physikalischen Gegebenheiten auseinander und nutzte diese, um allen Wohnungen einen gleichmäßigen Lichteinfall sowie einen natürlichen Luftaustausch zu bieten. Dies zeichnete bereits wie beschrieben die beiden Innenhöfe der Casa Milà aus. Raffiniert und trickreich kommt auch der Innenhof der Casa Batlló daher. Ein abschließender Blick auf dieses Bauteil soll Gaudís funktionale Kreativität nochmals unterstreichen. So dienten beispielsweise die blauen Kacheln im Innenhof der Casa Batlló, die von Reichtum zeugen und Eleganz ausstrahlen, nicht nur Dekorationszwecken. Wer genau hinschaut, bemerkt, dass sich die Kachelfarbe verändert. Sind sie in der obersten Etage noch Dunkelblau, so verändern sie sich absteigend von Mittelblau über Hellblau bis zu Weiß auf Ebene des Kellers. Dank dieser Farbabstufung sowie den unterschiedlichen Fenstergrößen profitierten alle Wohnungen von einem gleichmäßigen Lichteinfall. Ein Oberlicht aus Glas bildet den Abschluss des Innenhofs nach oben und diente nicht nur dem Regenschutz, sondern im Winter vor allem als Wärmespeicher.

Antoni Gaudí soll einmal gesagt haben: „Der Architekt der Zukunft wird die Natur imitieren, weil es die rationalste, nachhaltigste und wirtschaftlichste Methode ist.“ Leider ist diese Vision Gaudís nie Realität geworden. Heutzutage setzen wir wieder auf serielle Plattenbauten. Vielleicht würden Deutschland ein paar gaudíeske Visionen und Ideen guttun. Ein bisschen mehr funktionale Kunst in der Architektur statt nüchterner Zweckbauten wäre wünschenswert.