Es ist Sonntag, kurz nach 9.00 Uhr. Am Rande eines Parkplatzes, der wohl zu einer Kaserne gehört, steht eine Gruppe Menschen. Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch die Wolken. Bis zum Mittag wird sie es geschafft haben. Nach einigen Minuten fährt ein Bus der Schweizer Verkehrsbetriebe vor. Heute ist er zum Pendelbus umfunktioniert. Die Menschen steigen schnell ein. Männer, Frauen, Kinder – alle sind sie gespannt, in freudiger Erwartung, was heute passieren wird. Manche haben ihren Hund dabei. Andere einen Campingstuhl. Im Laufe des Tages werden viele Busse zwischen dem Parkplatz und der „Naturarena“ in einem nahegelegenen Waldstück pendeln. Es werden etwa 15.000 Besucher kommen. Sie alle wollen erleben, wer heute Abend die Königin unter den Königinnen sein wird. Sie alle wollen zum Ringkuhkampf.
Ringkuhkämpfe sind die einzigen erlaubten Tierkämpfe in der Schweiz. Sie sind streng reglementiert und finden einzig im Wallis statt. Es sind traditionelle Kämpfe der Eringer Kühe. Für die Tiere ist es ein natürlicher Trieb zur Festlegung einer Hierarchie, für die Zuschauer ist es ein Volksfest. Ernsthafte Verletzungen gibt es meist keine.
Im Wald angekommen steigen die Menschen aus dem Bus und strömen zum Festplatz. Man hört sie schon, diese prächtigen Tiere. Sie tragen ein kräftiges Gehörn. Unter dem schwarzen, bisweilen rötlich schimmernden Fell, spielen imponierende Muskelstränge. Eringer gelten als trittsichere, robuste und anspruchslose Tiere, die besonders gut dem steilen Gelände der Alpen angepaßt sind. Sie sollen besonders intelligent sein. Und sie haben diesen natürlichen Kampftrieb, mit dem die Kühe im Frühjahr, wenn sie aus den Ställen auf die Sommerweiden kommen, untereinander eine Hierarchie um die besten Weideplätze ausmachen. Das ist ist wohl der Ursprung der Ringkuhkämpfe, die im Wallis seit den 1920er Jahren ausgetragen werden. Die Kühe, die beim Kantonalen Finale in Aproz antreten, sind bereits „Königinnen“, das heißt sie haben eine Regionalausscheidung gewonnen.
Die Kühe stehen in einer langen Reihe zwischen die Bäume gebunden. Jede trägt eine Glocke um den Hals und hat mit weißer Farbe eine Startnummer auf die Flanken gemalt. Die Tiere warten auf ihren Einsatz. Manche stehen ganz friedlich da und käuen wieder. Anderen merkt man das Kämpferische regelrecht an. Zwischen den Tieren sitzen die Züchter mit ihren Familien. Hier und da steht ein Grill und natürlich gibt es Racelette.
Durch einen Lautsprecher werden Startnummern aufgerufen. Die Züchter führen ihre Tiere in den Ring. Die Naturarena von Aproz, das ist im Wesentlichen ein kleiner Hang, der als natürliche Tribüne genutzt wird und ein Sandplatz, der von kleinen Pfählen und einem starken Seil umringt wird. Da stehen sie nun, etwa 20 Kühe je Durchgang, jeweils von ihrem Besitzer gehalten. „Züchter aus dem Ring“ lautet die Ansage und die Besitzer verlassen den Ring. Für einen kurzen Moment herrscht völlige Stille. Im Ring sind nun nur noch die Kühe und sechs Kampfleiter, die Rabatteure. Sie stehen mit schweren Schuhen und hölzernem Stock in der Hand zwischen den Tieren und sollen verhindern, daß sich zwei kämpfenden Kühen eine dritte nähert. Das erfordert Aufmerksamkeit und Geschick und eine gehörige Portion Mut.
Nach ein, zwei Minuten ertönt plötzlich ein lautes Muhen. Die Kuh Nummer 25 hat sich eine Gegnerin ausgesucht und stürmt auf diese zu. Sie greift an. Mit dumpfem Donner prallen die Schädel aufeinander. Die Angreiferin schiebt die Gegnerin mehrere Meter durch den Sand. Die Schwächere erkennt sofort, daß sie keine Chance hat und dreht ab. Da sollte man besser nicht im Weg stehen. Gleich daneben haben sich zwei Kühe ineinander verkeilt. Die Hufe suchen Halt. Je 12 Zentner geballte Kraft stemmen sich gegeneinander. Die eine drückt, die andere hält dagegen. Sie bewegen sich nach rechts, nach links, dann nach vorne und hinten. Die Zuschauer haben den Eindruck beide sind gleich stark. Außerhalb des Rings stehen die Besitzer und fiebern mit ihren Tieren. Manche Zweikämpfe dauern nur wenige Sekunden. Bei anderen haben sich die Kühe minutenlang ineinander verkeilt. Dann plötzlich nimmt eine ihre ganze Kraft zusammen und schiebt die Gegnerin durch den Sand. Ein Raunen geht durch die Zuschauermenge. Gewonnen. Die Verliererin dreht zackig um und rennt los. Jetzt sucht sich jede eine neue Gegnerin.
Kommen sich zwei Kämpferpaare zu nahe, haben die Rabatteure regelrechte Arbeit. Ein Kampfgericht beobachtet das Treiben. Eine Kuh, die gewinnt, bekommt einen Punkt. Wer verliert bekommt einen Minuspunkt. „Nummer 18 abführen“ ertönt es aus dem Lautsprecher. Verliert eine Kuh mehrer Kämpfe, wird sie aus dem Ring genommen. So werden es nach und nach immer weniger im Ring bis nur noch eine übrig bleibt, die Königin der Königinnen. Sie gewinnt eine prächtige Glocke.
Ringkuhkämpfe finden im Wallis im Frühjahr und im Spätsommer/Herbst statt. Eine Übersicht über die Termine und weitere Infos zur Eringer Rasse gibt die Website der Eringer Viehzucht Genossenschaft.