16. Juni 2016, 11:00 Uhr, Abfahrt des offiziellen DFB-Fanzuges von Frankfurt a.M. über Saarbrücken nach Paris. Fast alle Plätze sind belegt. Die meisten Reisenden tragen grüne oder weiße Fußballtrikots und alle haben nur ein Ziel: Saint-Denis, UEFA EURO 2016, Deutschland gegen Polen. Und mit an Bord sitzt der wohl freundlichste Zugbegleiter, den die Deutsche Bahn zu bieten hat: „Einen wunderschönen guten Morgen…!“ Wie freundlich seine Stimme wirklich ist, kann man in Worten gar nicht umschreiben. Aber dazu später mehr.
Die Fahrtzeit beträgt 4,5 Stunden, welche nach einem intensiven Erwartungs- und Erfahrungsaustausch mit weiteren Fans wie im Fluge vergeht. Tatsächlich erfolgt die Ankunft am Pariser Ostbahnhof sogar überpünktlich! Ein Novum!
Saint-Denis liegt unmittelbar nördlich von Paris und wird im französischen als „Banlieue“ bezeichnet, was so viel wie „Randzone einer Großstadt“ bedeutet. Entsprechend beträgt der Weg vom Pariser Ostbahnhof zum Stadion, Stade de France, nur ca. 6,5 km.
Aber wir haben noch ein Zwischenziel. Die Tickets! Diese befinden sich noch im Hotelzimmer eines Freundes. Der Weg ist uns ein Rätsel, da sich die Straßennamen irgendwie alle sehr ähneln. So kommt es, dass wir nach dem freundlichsten Zugbegleiter der Deutschen Bahn jetzt auch noch den wohl freundlichsten Passanten der ganzen Stadt treffen. Er ist sehr aufgeschlossen, nett und hilfsbereit (was mehr eine Untertreibung, als eine genaue Beschreibung seines Charakters ist) und führt uns nicht mit ein paar Handzeichen, sondern einfach persönlich zum Holiday Inn Hotel. Natürlich bleibt uns daraufhin nichts anderes übrig, als mit ihm auf seine Gastfreundschaft, Paris und die EURO 2016 an der Hotelbar anzustoßen.
Mit den Tickets im Gepäck geht es nun mit dem Taxi eher schleppend als zügig durch den Stadtverkehr nach Saint-Denis. Man bekommt den Eindruck, dass ein Fahrrad in Paris eine weitaus lohnendere Investition als ein Auto zu sein scheint. Die Fahrzeit der 6 bis 7 Kilometer beträgt circa 50 Minuten. Wobei man sagen muss, dass unser Taxifahrer alle „Tricks“ des französischen Straßenverkehrs ausnutzt. Dicht auffahren, vordrängeln, rote Ampel überfahren, hupen, rechts überholen. Alles offensichtlich ganz normal hier.
Man erzählt sich, dass in Paris beim Parken niemand die Handbremse anzieht, damit ein etwaiger Hintermann das eigene Auto noch ein Stück weiter schieben kann – ohne eine Beule zu verursachen… Verrückt!
Kurzer Rückblick zur Vorrunde der UEFA EURO 2016:
September 2015, Deutschland gewinnt mit 3:1 Zuhause gegen Polen
Oktober 2015, Polen gewinnt Zuhause mit 2:0 gegen Deutschland
Somit herrscht Ausgleich – sogar beim Torverhältnis. Entsprechend entspannt sind die Gemüter heute. Von der ausgerufenen „höchsten Sicherheitsstufe“ ist zumindest auf Seiten der Fans nichts zu spüren. Viele Fans tragen deutsch-polnische Schals, wir selbst treffen eine große, freundliche Gruppe Polen. Man nimmt sich gegenseitig in den Arm, schießt zusammen Fotos und stößt gemeinsam auf ein „good match!“ an. Sehr sympathisch. Keine Spur von unnötigen Krawallen. Sicherlich sind nicht alle Fans der beiden Lager so sehr auf ein Miteinander aus, aber zumindest von Hooligans etc. fehlt jede Spur. Gut so!
Die ausgegebene Sicherheitsstufe bemerkt man an den Kontrollen der Securities. Dreimal werden wir abgetastet, bis wir erst in einen Vorbereich und dann in das Stadion einfallen dürfen. Endlich kommt auch mehr „EM-Feeling“ auf. Die Pariser Innenstadt wirkte von der Europameisterschaft recht unberührt. Erst in Saint- Denis tummeln sich die Fans. Jedermann trägt hier die Trikots seines Teams. Die Lautstärke erhöht sich drastisch. Fangesänge, Musik. Überall wehen Fahnen von Deutschland und Polen, die Anzahl von Kneipen, Möglichkeiten für einen Snack oder Drink steigt exponentiell.
Das Spiel selbst sieht jetzt vermutlich jeder ambitionierte Fußballfan live am Bildschirm und stuft es als nicht übermäßig spannend ein. Im Stadion allerdings ist die Stimmung unvergleichlich. Trotz weniger Chancen heizen die polnischen und deutschen Fans dem „Stade de France“ richtig ordentlich ein. Dennoch sehen wir ob live im Stadion, beim Public-Viewing oder vor dem häuslichen TV dasselbe Spiel. Ein Null zu Null eben.
Geprägt vom Unentschieden verlassen die beiden Fanlager ohne Groll und ohne Wut gemeinsam das Stadion. Auch hier entfacht keine Aggressivität. Alles geht gesittet zu. Nebenbei verdienen sich die Einheimischen aus Saint-Denis noch ein paar Euros dazu, indem sie mit mobilen Grillstationen und Einkaufwagen mit Würstchen und Getränken die Fußballfans versorgen.
Mit der U-Bahn geht es nun zurück zum Ostbahnhof. Um 1 Uhr startet die Zugfahrt von Paris zurück nach Frankfurt. Deutlich weniger Fans besetzen den Zug. Die Meisten haben sich wohl ein Hotel in Paris genommen. Außerdem wurde von der Französischen Regierung ein Alkoholverbot in EM-Fanzügen verhängt. Allgemeine Müdigkeit macht sich breit. Aber eine Person ist noch topfit! Der wohl freundlichste Zugbegleiter, den die Deutsche Bahn zu bieten hat! Mit einem liebenswerten „Einen wunderschönen guten Abend liebe Fußballfans..!“ weist er uns darauf hin, dass der Zug jetzt abfährt. Die Augen der meisten Passagiere schließen sich. Wir werden am frühen Morgen gegen 6 Uhr in Frankfurt ankommen…